Mittwoch, 20. Januar 2010

Routiniert und raffiniert


WM-Vorschau: Italien will den Titel von 2006 verteidigen. Dass dieses Vorhaben ein ungemein schweres ist, wissen Lippis Schützlinge jedoch ganz genau. Die Squadra Azzurra hat die Qualifikation problemlos geschafft (zehn Spiele, 24 Punkte, ungeschlagen), spielerisch konnte man jedoch nicht immer überzeugen.

Marcello Lippi ist sich seiner Sache sicher: „Die Mannschaft ist kompletter als beim Gewinn des WM-Titels 2006.“ Was der Erfolgscoach damit sagen will, ist dass seine Mannschaft wesentlich variabler geworden ist. „Weil wir sowohl ein 4-3-3, ein 4-2-3-1 als auch ein 4-4-2 spielen können“, so der 61-Jährige, der seit 2008 wieder im Amt ist. Tatsächlich ist Italien längst vom starren 4-4-2 abgekommen, kann flexibel zwischen verschiedenen Spielsystemen wechseln. So gesehen auch in der Qualifikation, als die Spielweise den gegebenen Situationen besser angepasst wurden. Die Italiener, denen man ja grundsätzlich gerne unterstellt, echte Taktikkünstler zu sein, werden ihrem Ruf gerecht, ein Spiel perfekt lesen zu können und dementsprechend zu reagieren.

Ob die Italiener bereits in der Gruppenphase taktisch so sehr gefordert werden, bleibt bei Anbetracht der Auslosung abzuwarten. Paraguay, Neuseeland und die Slowakei heißen die Gruppengegner. Los geht’s gleich gegen den vermeintlich härtesten Konkurrenten, Paraguay, das sich in der WM Qualifikation in souveräner Manier den zweiten Rang hinter Brasilien sicherte. Souverän vor allem deshalb, da die Truppe von Gerardo Martino (47 Jahre) mit einer großartigen Abwehr glänzte, die in 17 Spielen lediglich 12 Treffer zuließ. Es prallen also zwei starke Defensivreihen aufeinander, die sich gegenseitig neutralisieren könnten. Die größte Schwäche hat die „Albirroja“ – wie könnte es anders sein – in der Offensive: die Spitzen hängen vorne zu oft in der Luft, da die Mannschaft sehr weit zurückgezogen spielt. Bezeichnend, dass mit Cabanas der erfolgreichste Torschütze des Teams sechs Treffer schaffte.

Am zweiten Spieltag darf man gegen Neuseeland antreten, das könnte durchaus torreich enden. Die „Kiwis“ haben es erstmals seit 1982 wieder zu einer WM geschafft, was zweifellos ein toller Erfolg ist. Ohne diesen schmälern zu wollen, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das wesentlich stärkere Australien seit 2008 in der Asienqualfikation, und nicht mehr mit Neuseeland in der Ozeaniengruppe, spielt. Ein kausaler Zusammenhang ist nicht auszuschließen. Italien wird mit Neuseeland – wie vermutlich auch die anderen Gruppenkonkurrenten – keine Schwierigkeiten haben.

Die Slowakei hingegen ist definitiv in der Lage solche dem Titelhalter zu bereiten. Zwar ebenso nicht in beängstigender Art und Weise, jedoch ist den Slowaken durchaus eine gute Rolle zuzutrauen. Stars wie Kapitän Marek Hamsyk (SSC Napoli) oder Bochums Toptorjäger Stanislav Sestak ergänzen sich mit Kämpfertypen wie Martin Skrtel (Liverpool), Peter Pekarik (Wolfsburg) und Miroslav Karhan (Mainz 05) und sorgen so für eine gut harmonierende, mannschaftliche Geschlossenheit. So schlug man in der Quali unter anderem Tschechien in Prag mit 2:1.

„Die Mannschaft ist besser als beim Gewinn des WM-Titels 2006.“ - Italiens Coach Marcello Lippi


Italien ist und bleib aber der unumstrittene Favorit auf den Gruppensieg. Mit Gianluigi Buffon hat man im Tor einen absoluten Weltklassespieler. Sollte der vierfache Welttorhüter, wie zuletzt öfters der Fall, verletzt ausfallen, wird nicht wie bei Juventus Turin Alexander Manninger einspringen sondern der junge Federico Marchetti, den viele schon als legitimen Nachfolger sehen. Österreichs Beitrag zur WM bleibt also weiterhin bei Null. Aber keine Sorge: eine österreichische Boulevardzeitung wird bestimmt noch einen nordkoreanischen Zeugwart finden, der schon einmal auf der Durchreise in Österreich war. („So viel Österreich steckt in Nordkorea!“). Ganz ohne uns geht’s ja doch nicht.

Aber zurück zu wichtigeren Dingen: die Abwehrkette werden voraussichtlich Zambrotta (32), Cannavaro (36), Chiellini (25) und Grosso (32) bilden. Bis auf Chiellini waren alle auch schon beim Titelgewinn von 2006 mit dabei. Alternativen gibt es genug, neben arrivierten Verteidigern wie Barzagli oder Gamberini auch jüngere Spieler wie Davide Santon (18, Inter Mailand), Domenico Criscito (23, Genoa) Andrea Ranocchia (21,) oder Leonardo Bonucci (22, beide AS Bari) werden noch ihre Chance bekommen, auf den WM-Zug aufzuspringen. Um die Abwehr muss sich Taktikfuchs Marcello Lippi die wenigsten Sorgen machen.

Im Mittelfeld ist man zu sehr von Andrea Pirlo (30) abhängig, dessen Form in letzter Zeit erheblichen Schwankungen ausgesetzt war. Neben ihm werden wohl der zu letzt sehr stark aufspielende Daniele De Rossi und Mauro Camoranesi spielen. Gattusos Teilnahme an der WM ist aufgrund mangelnder Fitness fraglich. Ebenso die von Francesco Totti, der fast schon wöchentlich Gerüchte um ein mögliches Comeback dementiert und wieder anheizt. Er wäre freilich die Idealbesetzung für die Position hinter den Spitzen. „Die Türen sind für alle offen“, ließ Lippi kürzlich verlautbaren, wohlwissend, dass Totti jede Menge an Kreativität in Italiens oft zu durchschaubare Offensivspiel bringen würde.

Davon würde auch Alberto Gilardino profitieren. Der Fiorentina-Stürmer ist im Angriff die erste Wahl und würde im Falle eines Systems mit nur einem Angreifer als Solo-Spitze fungieren. Schickt Lippi einen zweiten Stürmer aufs Feld, wird dieser wohl entweder Vincenzo Iaquinta, Marco Borriello, Giuseppe Rossi oder Luca Toni heißen. Letztgenannter hat zwar jetzt bei der Roma wieder bessere Aussichten auf Einsatzzeiten als bei Bayern München, er ähnelt vom Typ her jedoch sehr stark Gilardino. Gut möglich, dass er die Rolle des Jokers einnehmen wird. Cassano, Pazzini, Balotelli und Di Natale haben nur noch Außenseiterchancen, im Sommer nach Südafrika reisen zu dürfen.

Italiens großer Trumpf werden wieder die Ausgewogenheit, die Erfahrung und die internationale (Welt-)Klasse sein. Vom Tormann bis zum Mittelstürmer gibt es keine großen Schwachstellen, die ein frühes Ausscheiden realistisch erscheinen lassen. Zahlreiche Spieler der Startelf waren schon beim Titelgewinn 2006 Stützen und verfügen demnach über die notwendige Routine und Abgeklärtheit, um enge Spiele, die auf der Kippe stehen, den entscheidenden Kick zu ihren Gunsten zu geben. Für viele Akteure dieser „Goldenen Generation“ wird es wohl auch das letzte Großturnier sein. Das könnte zusätzliche Energien frei machen.

Tipp: Die Mission Titelverteidigung ist nicht unmöglich. Dazu wird aber eine klare Steigerung in punkto Spielwitz gegenüber den Qualifikationsspielen nötig sein. Und selbst dann gibt es da noch jede Menge andere Teams, die Italien mehr als nur Paroli bieten können. Auf den fünften Weltmeistertitel wird sich Italien noch gedulden müssen – Endstation ist spätestens im Halbfinale.

Reif für mehr?


WM-Vorschau: Die Elfenbeinküste stellt derzeit wohl Afrikas beste Mannschaft. Neben Topstar Didier Drogba verfügt das Team von Vahid Halilhodzic über weitere internationale Weltklassespieler, die in ihren Vereinen absolute Stützen sind.

Argentinien, Niederlande, Serbien & Montenegro – das waren die Gruppengegner der Elfenbeinküste bei ihrer ersten WM-Teilnahme 2006 in Deutschland. Drogba & Co. scheiterten zwar letztlich an der Klasse von Argentinien und Niederlande, brachten jedoch die beiden europäischen Schwergewichte an den Rande einer Niederlage. Im letzten, bedeutungslosen Gruppenspiel gegen Serbien gewann man mit 3:2. Und auch heuer meinte es die Glücksfee nicht wirklich gut mit den Ivorern. In Gruppe G muss man sich mit Brasilien, Nordkorea und Portugal messen. Wieder müssten die Westafrikaner zumindest eine absolute Spitzennation schlagen um bei der zweiten Weltmeisterschaftsteilnahme en suite die K.O.-Runde zu erreichen. Das ist schwer, aber auch nicht unmöglich.

Der Favorit auf den Gruppensieg kristallisiert sich schon beim ersten Blick auf Tabelle heraus: Brasilien hat unter Dunga die WM-Qualifikation ohne Probleme geschafft und gewann die Südamerikavorausscheidung souverän. Die Selecaó glänzte dabei weniger mit Einzelspielern als viel mehr mit einem hervorragenden Kollektiv. Gerade deshalb sehen viele Experten den Rekordchampion heuer ganz besonders in der Favoritenrolle. Brasilien wird die Gruppe G aller Voraussicht nach am ersten Rang beenden, alles andere wäre eine echte Überraschung.

Portugal hatte zwar große Probleme in der Qualifikation und schaffte nur mit Müh’ und Not den zweiten Relegationsrang (ebenso mühsam erkämpfter Aufstieg gegen Bosnien), gehört jedoch sicherlich in den erweiterten Kreis der Titelanwärter. Mit Cristiano Ronaldo stellen die Südwesteuropäer zudem den Topstar des Turniers. Die Portugiesen gilt es zu schlagen, will die Elfenbeinküste das Achtelfinale erreichen. Schon am ersten Gruppenspieltag kommt es zum direkten Aufeinandertreffen zwischen der Elfenbeinküste und Portugal, bei dem die Weichen vermutlich schon entscheidend gelegt werden.

Der große Underdog und noch größere Außenseiter der Gruppe heißt Nordkorea, das sich in der Qualifikation keine Blöße gab und erstmal seit 1966 wieder dabei ist. Die Asiaten dürfen kein Problem für die Ivorer darstellen, will man im Konzert der Großen mitspielen. Ein echtes Problem könnte im Falle des Aufstiegs jedoch Spanien werden, das einer der zwei möglichen Gegner wäre, vorausgesetzt die Iberer setzen sich gegen die Schweiz, Chile und Honduras durch, was nicht völlig realitätsfern erscheint.

Führt man sich die derzeitige Kaderliste der Westafrikaner zu Gemüte, könnte das tatsächlich möglich sein: die mit zahlreichen bei europäischen Topklubs spielenden Stars gespickte Liste lässt jeden Fußballliebhaber mit der Zunge schnalzen.
Einzig die Torwartposition gilt – wie bei so vielen afrikanischen Mannschaften – als echte Achillesferse. Boubacar Barry, auch Copa genannt, (KSC Lokeren) war lange Zeit als fehleranfällig bekannt. Ein Ruf, der sich hartnäckig hält, obwohl Barry in Belgien sogar zum Torhüter des Jahres 2009 gekürt wurde. Der 29-Jährige steht derzeit beim Afrika-Cup zwischen den Pfosten. Zumindest im ersten Spiel blieb die Null hinten stehen, es ist jedoch fraglich ob Burkina Faso ein echter Prüfstein ist. Richtige Herausforderer, die ihm das Einser-Leiberl streitig machen könnten, gibt es keine. Über einen echten Klassetorman verfügt die Elfenbeinküste nicht.

In der Abwehr sieht es da schon anders aus: Mit Kolo Touré (28, Ex-Arsenal, jetzt Manchester City) gibt es einen Abwehrchef, der sich in der englischen Premier League bereits einen Namen gemacht hat und jedes Wochenende seinen Mann steht. Sein Partner in der Innenverteidigung wird vermutlich Abdoulaye Meité (29) sein, der bei West Bromwich spielt und zuvor jahrelang für Olympique Marseille verteidigte. Um die Position des Linksverteidigers matchen sich Athur Boka vom Vfb Stuttgart und Siaka Tiéné, der in der Ligue 1 für FC Valenciennes spielt.
Alternativen sind Souleymane Bamba (Hibernian Edinburgh) oder auch der Hamburger Guy Demel, der jedoch eher auf der rechten Abwehrseite auflaufen wird.
Die gehörte früher Eboué (26, Arsenal), der zuletzt aber sowohl im Club als auch im Nationalteam immer die Position des rechten Flügelspielers bekleidete.

Unterstütz wird Eboué im Mittelfeld von zwei echten Hochkarätern: Yaya Touré, jüngerer Bruder von Innenverteidiger Kolo Touré, verdient seine Brötchen beim FC Barcelona und kommt dort regelmäßig zum Einsatz. Daneben wird wohl Didier Zokora spielen, defensiver Mittelfeldspieler vom FC Sevilla. Doch auch Tioté (23, Twente Enschede) und Emerse Faé (25, OGC Nice) werden gute Chancen auf einen Startplatz eingeräumt.

„Wir sind bereit. Wir wollen der ganzen Welt zeigen, was wir können. Jeder Afrikaner muss während der WM stolz sein“ - Didier Drogba


Das große Prunkstück im Kader von Vahid Halilhodzic ist aber zweifellos der Angriff. Auf den Flügeln wirbeln Gervinho (22) von Lille, an dem Barcelona bereits reges Interesse bekundet hat, und Salomon Kalou (24) von Chelsea London. Fallweise, und ohne einen großen Qualitätsverlust befürchten zu müssen, schickt der bosnische Nationaltrainer gerne auch Abdul Kader Keita (Galatasaray Istanbul), Bakari Koné (Olympique Marseille) oder Aruna Dindane (Portsmouth) aufs Feld.

Der absolute Topstar und Kapitän des Teams ist unumstritten Didier Drogba (31), Vereinskollege von Kalou bei Chelsea. Der exzentrische Mittelstürmer hat eine schier unglaubliche Trefferquote aufzuweisen: in 63 Länderspielen durfte der bullige Goalgetter über insgesamt 42 (!) Tore jubeln. Das gesamte Angriffsspiel ist auf Drogba zugeschnitten, der insbesondere in der Verarbeitung von hohen Bällen einsame Spitze ist. Drogba arbeitet enorm viel für die Mannschaft, lässt sich oft zurückfallen, hat folgerichtig ein enormes Laufpensum über 90 Minuten aufzuweisen.

Hinzu kommt der „Heimvorteil“ der ersten Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden. Es wird sich weisen, ob die Elfenbeinküste schon reif für mehr ist, reif für das Achtelfinale. Denn wenn „Les Elephantes“ die Gruppenphase überstehen, wird einiges möglich und ein gewaltiger Vorstoß nicht auszuschließen sein. Zumindest Kapitän Drogba ist sich (wenig überraschend) sicher: „Wir sind bereit. Wir wollen der ganzen Welt zeigen, was wir können. Jeder Afrikaner muss während der WM stolz sein“. Wie stolz die Elfenbeinküste nach dem Tunier auf ihre Fußballnationalmannschaft tatsächlich sein kann, hängt nicht zuletzt davon ab, ob Drogba seine Chancen wie gewohnt eiskalt verwertet. Die Erwartungshaltung ist groß. Doch der Druck Erfolg zu haben ist für Drogba & Co. nichts Neues.

Tipp: Die Elfenbeinküste wird die Gruppe G überstehen und mit Brasilien ins Achtelfinale einziehen. Die neue (taktische) Disziplin unter Vahid Halilhodzic in Verbindung mit den herausragenden Einzelkönnern nähren zurecht die Hoffnungen auf das Erreichen des Viertelfinales.

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