Mittwoch, 6. Januar 2010

Über die relative Bedeutungslosigkeit des Zehners

Es war die Zeit der herausragenden Spielgestalter, als Ausnahmekönner wie Pelé, Maradona, Zidane oder Totti (um nur wenige einer ganz besonderen Spezies zu benennen) ein Spiel scheinbar nach Belieben inszenierten. Von jedweden Defensivaufgaben entbunden, war ihnen im Angriff Narrenfreiheit erlaubt. Trainer, die damals schon versuchten ihren Star, den Spielmacher, etwas zu zügeln und in ein taktisches Konzept einzubinden, waren erstens rar gesät und zweitens eher die der unpopuläreren Sorte. Einen Ballkünstler wie Frankreichs Fußballidol Zinedine Zidane mit Defensivaufgaben zu beauftragen war in etwa vergleichbar, als ob man einen herumtollenden Hund an die Stange kettet.

Doch genug der Nostalgie – die Gegenwart zeigt sich völlig konträr: herausragende Kreativspieler müssen sich unterordnen, das Kollektiv steht über allem, die gesamte Mannschaft attackiert und verteidigt gemeinsam. Das hat zur Folge, dass die Pelés und Maradonas von heute keine Amnestie mehr genießen, das heißt: nach Ballverlust vorne stehen bleiben ist nicht mehr. Wer nicht spurt, darf das Bankerl wärmen. Beispiel gefällig? Robinho, brasilianischer Ausnahmekönner bei Manchester City, hatte schon so seine liebe Not mit dem „Allrounder-System“. Auch er durfte schon 90 Minuten lang dem Trainer bei der Arbeit aus allernächster Nähe zusehen. Wenn dann der „Star“ der Mannschaft auch noch aufmuckt, winkt ein Platz auf der Tribüne. Die Trainer ziehen ihren Stil härter durch, haben wenig bis gar kein Verständnis für „integrationsunwillige“ Spielmacher.

Apropos das Spiel machen: diese Aufgabe lastet heutzutage mehr denn je auf der gesamten Mannschaft. Vom modernen, stets mitspielenden Tormann, der schnell abwirft, oder mit gezielten Abschlägen die Stürmer bedient über die Außenverteidiger, die sich bei jedem Angriff mit nach vorne einschalten müssen und 90 Minuten lang die Flanken abgrasen bis hin zum Mittelstürmer, der sich die Bälle aus dem Mittelfeld holt, um sie wieder zu verteilen.
Führt man sich die vereinsinternen Torschützenlisten zu Gemüte, wird man unweigerlich erkennen, dass die Tore mehr oder weniger homogen auf zahlreiche, verschiedene Spieler verteilt sind. Es ist keine Rarität mehr, dass ein Außenverteidiger die zweit meisten oder sogar die meisten Treffer auf seinem Konto hat.

Die jüngere Vergangenheit zeigt, dass zum Beispiel ein Topteam wie Juventus Turin im Nachhinein nicht gerade glücklich mit der Entscheidung sein dürfte, im Sommer alles auf eine Karte namens „Diego“ gesetzt zu haben . 30 Millionen überwies Juve im Sommer an Werder Bremen – Diego erwischte eine ganz schwache Hinrunde. Juve lieferte sich Diego mehr oder weniger auf Gedeih und Verderben aus. Das Spiel steht und fällt mit dem Brasilianer, jüngst war eher letzteres der Fall.

Klare, starre Positionen, wie es sie früher gab, gibt es im modernen Fußball ohnehin nicht mehr. Mittlerweile können wir das nicht nur in der englischen Premier League beobachten: dort gibt es praktisch kein Team, in dem auch nur ein Spieler spielt, der lediglich eine Position spielen könnte. Es gibt Spieler, die von ihren Trainern im Laufe einer Saison auf acht oder mehr verschiedenen Positionen eingesetzt werden. Und auch die „Elftal“, die holländische Fußballnationalmannschaft, weiß dieses System nahezu perfekt umzusetzen. Klar, Ballkünstler wie Van der Vaart, Sneijder oder Robben stechen hervor, doch auch sie setzen an der eigenen Torauslinie zur eingesprungenen Grätsche an, wenn es denn sein muss.

Es ist vielmehr die Generation des Strategen, als die des Spielmachers. Eine Fusion des klassischen Abräumers, des „Sechsers“ und des „Zehners“ – das ergibt den noch nicht ganz salonfähigen Begriff des „Achters“. Die Denker und Lenker im Mittelfeld, die sowohl defensiv organisieren, als auch die Angriffe mit punktgenauen Lochpasses einleiten. Spieler wie Xavi, Gerrard, Lampard, Cambiasso, De Rossi, Pirlo. Sie lesen ein Spiel – sowohl defensiv als auch offensiv – und prägen es dementsprechend. Es sind diese „Achter“, die bereits jetzt und noch viel mehr in Zukunft Geschichte schreiben. Selbstverständlich sind und werden Ballartisten wie Lionel Messì oder Cristiano Ronaldo immer Publikumslieblinge und Anwärter für den Titel des Weltfußballers des Jahres sein. Doch auch ein C. Ronaldo hat unter Sir Alex Ferguson gelernt, Defensivarbeit zu leisten, und auch dort hin zu gehen, wo’s wehtut.

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