Dienstag, 12. Januar 2010

"Wir wurden beschossen wie Hunde"


Beinahe in allen Medien und in jedem Teil der Welt hat der „African Cup of Nations“ derzeit jene Aufmerksamkeit, die das afrikanische Pendant zur Europameisterschaft eigentlich immer verdient hätte. Der Anlass jedoch könnte trauriger nicht sein. Bei der Einreise des togoischen Nationalteams wird der Mannschaftsbus von angolanischen Separatisten angegriffen, dabei wurden der Assistenztrainer, der Pressesprecher und der Busfahrer getötet und mehrere Delegationsmitglieder schwer verwundet, mit Kodjovi Obilalé und Serge Akakpo befinden sich auch zwei Spieler unter den Verletzten. Es herrscht Betroffenheit weit über Afrikas Grenzen hinaus, die (Fußball-)Welt ist schockiert. Der African Cup of Nations in Angola sollte nicht nur (gerade in Sicherheitsfragen) die Generalprobe für die im Sommer in Südafrika stattfindende Weltmeisterschaft sein, sondern auch dafür sorgen, dass der afrikanische Fußball populärer und vor allem selbigem mehr Respekt entgegengebracht wird.

Und auch deshalb ist es an Tragik kaum zu überbieten: ein seit Jahrhunderten von ausländischen Machtinhabern durch Unterdrückung, Folter und Korruption gebeutelter Kontinent versucht, vom völkerverbindenden Aspekts des Fußballs zu profitieren, doch ehe das Turnier beginnt, schießen Rebellen auf ein einreisendes Team, töten drei Menschen und zerstören auch nur jeden Funken Hoffnung auf Euphorie in einem Land, dessen Geschichte jahrzehntelang von blutigen Bürgerkriegen und kolonialen Grausamkeiten geprägt wurde. In der angolanischen Exklave Cabinda, in der der Anschlag passierte, findet man auf nur wenigen Quadratkilometern beinahe alle dominierenden Probleme des gegenwärtigen (Schwarz-)Afrikas. So auch separatistische Rebellen, die aufgrund wertvoller Ressourcen in deren Gebiet (in diesem Fall große Erdölvorkommen) im Dauerkonflikt, welcher meist mit Waffengewalt geführt wird, mit dem Staat stehen.

Doch warum konnte es überhaupt soweit kommen? Jede Menge Kritik gefallen lassen müssen sich die angolanische Regierung und der afrikanische Fußballverband, trotz Drohungen und Ankündigungen der Rebellen im Vorfeld, Cabinda als Austragungsort ausgewählt zu haben. Auch zahlreiche Menschenrechtsorganisationen schlugen Alarm und machten auf gravierende Menschenrechtsverletzungen durch das Militär aufmerksam.

"Wir wurden beschossen wie Hunde. Die Angreifer waren bis an die Zähne bewaffnet. Alle versteckten sich 20 Minuten lang unter den Sitzen. Es war schrecklich." - Mittelfeldspieler Thomas Dossevi schildert den Rebellenangriff


Ebenso darf sich Togos Verbandspitze einiges anhören. Denn Veranstalter Angola wies ausdrücklich darauf hin, nicht mit dem Bus anzureisen – eben aufgrund von potentiellen Sicherheitsproblemen. Diese Entscheidung wurde vom Organisationskomitee scharf kritisiert.
Ausgiebig diskutiert wird auch die Entscheidung der Regierung, Togos Fußballnationalteam wieder zurück zu beordern. Einerseits ist es absolut verständlich, die Mannschaft aufgrund dieses Schockerlebnisses und vor allem aus Respekt den Verstorbenen und deren Angehörigen gegenüber auf die Teilnahme zu verzichten. Andererseits war es der ausdrückliche Wunsch der Spieler selbst, für die verstorbenen Kollegen zu spielen und das Turnier in Gedenken an diese zu bestreiten. Abgesehen vom menschlichen Drama, ist dieser Eklat für die Entwicklung des afrikanischen Fußballs verheerend bzw. dafür mitverantwortlich, dass die Reputation – vor allem in Fußballeuropa – weiter stagnieren wird.

Der Schatten, den der europäische Klubfußball, gerade mit millionenschweren Bewerben wie der Champions-League oder der Europa League, wirft, ist gigantisch und die Chance für Afrika aus diesem herauszutreten praktisch nicht existent. Klar, dass dies schon aufgrund der finanziellen Gegebenheiten nicht gelingen kann. Ziel war es jedoch mit dem African Cup of Nations das Image aufzupolieren, was nach diesem denkbar schlechten Start sicher nicht leichter werden wird. Dass von Spanien über Italien bis England sämtliche europäische Topclubs auf zahlreiche afrikanische Stammkräfte bauen wird nicht in diesem Maße wahrgenommen. Es gibt in allen Ländern großartige Einzelkönner, die an dieser Stelle gar nicht aufzuzählen wären, doch das mangelhafte Kollektiv und die fehlende (taktische) Disziplin sind hauptverantwortlich für den Abstand zum europäischen Kick.
Wenig diszipliniert ging es zum Beispiel beim Qualifikationsmatch Uganda – Nigeria zu. Der deutsche Torhütertrainer Uli Stein arbeitet für den nigerianischen Verband und weiß davon zu berichten. So erzählt er von fehlendem Wasser in sämtlichen Duschen und von Kabinenwänden, die mit Kuhkot „verziert“ waren und dementsprechende Düfte verbreiteten.

Am extremsten war das Auswärtsspiel in Uganda. Das fing schon mit dem Mannschaftshotel an. Es gab nicht einmal Wasser zum Duschen. Aber wirklich der Hammer war dann die Kabine im Stadion, in der wir uns umziehen mussten. Die Wände waren mit Kuhkot beschmiert. Es hat fürchterlich gestunken.“ - Nigerias Torwarttrainer Uli Stein über die Bedingungen beim Auswärtsspiel in Uganda.


Auch mit Voodoo-Praktiken hat Stein mittlerweile seine Erfahrungen sammeln dürfen. So musste einmal kurzfristig die gesamte Mannschaft auf Umwegen zum Stadion gebracht werden, da vor Abfahrt ein Voodoo-Mann sein Unwesen im Mannschaftsbus getrieben haben soll. So weigerten sich die Spieler, sich in diesen Bus hineinzusetzen. Diese zwei, zugegebener Maßen, extreme Beispiele sind zwar ganz bestimmt welche der seltenen Sorte. Sie zeigen jedoch auf, dass es, zumindest im Vergleich zu europäischen Verhältnissen, doch etwas unkonventioniell zugehen kann. Organisatorisches Talent wird den dortigen Nationalverbänden ohnehin nicht nachgesagt. Der afrikanische Fußball steht für die pure Spielfreude, er lebt die unbeschwerte Leichtigkeit des Spielens vor.

Unter dem Strich steht jedenfalls das große Bedauern und eine ebenso große Portion Mitleid für einen Kontinent, der ein Riesenpotential (bei weitem nicht nur fußballerisch) hätte und für ein Land, das anscheinend kein Fußballturnier ohne erhebliche Sicherheitsprobleme veranstalten kann. Dass dies nicht der Weisheit letzter Schluss ein kann, sollte klar sein. Tatsache ist jedoch, dass der Anschlag von Cabinda einen erheblichen Rückschlag für den afrikanischen Fußball darstellt. Sicherheitsbedenken im Hinblick auf die Weltmeisterschaft im Sommer in Südafrika wären aber unangebracht, da die Situation in Cabinda zwar durchaus Probleme aufweist, die in beinahe ganz Afrika akut sind, letztendlich aber doch Ergebnis eines regionalen Konfliktes sind. Übrigens, gespielt wurde beim Afrika-Cup auch schon: Mali rang im überaus spektakulären Eröffnungsspiel Angola nach einem 0:4 zur 76.Minute noch ein 4:4 Unentschieden ab.

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